Fotos: Elena Heatherwick
Preis: 30,– €
Kaukasis – oder Essen verbindet!
Egal, ob Armenier, Aserbaidschaner, Georgier oder die kleineren kaukasischen Volkstämme – ihre Kulturen sind miteinander verflochten, ihre Schicksale verwoben, und ihre Küchen haben so viele ähnliche Gerichte und Zubereitungsarten. Geopolitische Interessen, genauso wie Arbeitslosigkeit, Armut und all die anderen menschengemachten Heimsuchungen haben die Länder der Region nach dem Zusammenbruch des Sowjet-Regimes immer mehr auseinander und gegen einander aufgebracht. Als man das bei einer Region hätte erwarten können, die so vieles gemeinsam teilt. Olia Hercules kennt das selbst nur zu gut, ihre armenische Familie, die eigentlich aus Bergkarabach stammt, war in den 80er Jahren mit Kriegsausbruch gezwungen, zuerst ihr Sommerhaus aufzugeben und musste letztendlich die Region und das aserbaidschanische Baku verlassen, um nach Kiew auszuwandern. „Kaukasis“ ist ihr Tribut an ihre Heimat und an schneebedeckte Berggipfel des Kaukasusgebirges. Ganz oben auf der Spitze des Kasbeck, im Nordosten Georgiens gibt es eine Aussichtsplattform mit einem riesigen Mosaik. Und genauso fühlen sich Kultur, Traditionen und Rezepte der Region für Olia an: Die Umrisse sind da, aber was im Innern passiert, ist ein Puzzle aus vielen Fragmenten, bunt und scheinbar nicht zusammenpassend, doch jedes ist ein Teil des Ganzen.
Wer ist die Köchin?

Olia Hercules wurde in der Ukraine geboren und lebte fünf Jahre auf Zypern, bevor sie zum Studium nach London zog. Zahlreiche Jobs folgten, ehe sie ihr Interesse am Kochen zum Beruf machte. Ihre kulinarische Karriere begann sie am Londoner Union Market, fand dann aber ihren Traumjob als Chef de Partie bei Ottolenghi’s. Heute konzentriert sie sich hauptsächlich auf das Schreiben, Food Styling und gelegentliche Streifzüge durch Film und Fernsehen. Auf Deutsch erschien bereits ihrc erstes, sehr erfolgreiches Kochbuch „Mamuschka“ (2015). In Großbritannien wurde sie u.a. vom Observer mit dem Rising Star Award gekürt.
Was ist drin?
Bitte keine halben Sachen,
– oder dieses Buch schaut den Menschen beim Kochen über die Schulter!
Herkules setzt bei ihrem zweiten Buch auf absolute Authentizität, das ist ihr bei diesem Buch wirklich sehr wichtig und deutlich präsenter als in „Mamuschka“. Im Abspann dankt die Autorin ihrem Verlag und ihrer Lektorin, dafür, dass sie sich für dieses Buch hat nicht „verbiegen“ müssen. Was sie damit gemeint haben könnte, liegt auf der Hand, wenn man durch das schöne neue Buch von Olia Hercules zur kaukasischen Küche blättert: Statt bei jedem Rezept nur mit Hochglanz-Fotos zu punkten, gibt es im Buch viele Reise-Aufnahmen, die sie allein, mit ihrem Reisebegleiter, der übrigens ihr Bruder ist, oder mit Menschen zeigen, mit denen sie gemeinsam die Rezepte der jeweiligen Region gekocht hat. Bevor sie zu Hause in London, alles noch mal nachgekocht, optimiert und an unsere Bedürfnisse und Gegebenheiten angepasst hat. Und es ist überall im Buch zu merken, sie hat dabei keine Mühen gescheut und jede Menge getüftelt hat.
Was kommt im Kaukasus in den Topf?
Obst, Gartengemüse und unverzichtbare Würz-Partner…
In den kaukasischen Küchen (dazu gehören neben Georgien, ebenso Armenien und Aserbaidschan) findet man alles was der Garten so her gibt, wie z. B. gebackene rote Beete und unbedingt Pflaumen, die sind gar nicht wegzudenken, aus der georgischen Küche! Sie werden z. B: zu einer frischen ungesüßten Tkemali (Pflaumensauce) verarbeitet, die sowohl die roten Beete als auch einen Salat aus Kohlrabi, Sauerampfer, Radieschen & Chicorée begleiten können. Tkemali zählt zu den Grundpfeilern der georgischen Küche. Von dieser Sauce gibt es so viele Varianten wie Haushalte. Normalerweise kocht man die Pflaumen bis man sie durch ein Sieb streichen kann, so dass Haut und Kerne zurückbleiben und ein herrliches Mus zurück bleibt. Dieses wird dann mit Knoblauch und anderen Gewürzen wie z. B. Dill gekocht.
Die Köchin aus London hat natürlich nicht nur Tkemali im Angebot, sondern präsentiert gut 100 Rezepte, die nicht am Schreibtisch oder in der Versuchsküche entstanden sind, sondern die sie u. a. mit Tina einer liebenswerten Landärztin hoch oben aus den swanetischen Bergen (georgischer Kaukasus) oder mit der jungen Amerikanerin Ènnek Petersen, die nach einem Kurztrip durch Georgien in Tiflis hängen geblieben ist, gekocht hat. Ènnek Petersen ist heute stolze Gastronomin und verwöhnt die Gäste ihres Naturwein-Lokals z. B. mit einem Obst-Minz-Adschika auf Käse und geröstetem Brot. Die Würzpaste Adschika, ist eine Art kräuterwürziges grünes Relish. Im Westen Georgiens haben viele Frauen stets ein Glas davon im Kühlschrank stehen. Georgier genießen ihr Adschika zu vielem: ein klitzekleines bisschen davon auf eine geröstete Scheibe Sauerteigbrot gestrichen mit gutem Mozzarella darauf, oder ein Klecks unter gekochte Frühkartoffeln rühren, das ist lecker und typisch für die Region. Adschika gibt es jedoch nicht nur in grün auch rote Adschika gibt es in zahlreichen Varianten, vom trockenen Knoblauch-Chili-Salz bis hin zur feuchten scharfen Paste hat Herkules sehr originalgetreue Versionen im Angebot, so dass wir die langweiligen Produkte aus dem russischen Supermarkt unbedingt links liegen lassen sollten.
Fleisch & Fisch
Ohne Adschika läuft in der georgischen Küche nichts! Damit kochen die Georgier z. B. den berühmtesten Eintopf Westgeorgiens: Chartscho, der nach einer fetten Rinder-Haxe, Zwiebeln frischem Koriander, Knoblauch, Walnüssen, Granatapfelkernen und wie könnte es anders sein, nach Adschika‑Salz verlangt. Olia Herkules tauscht jedoch den manchmal sehr bitter schmeckenden Bockshornklee gegen milderen Schabzigerklee. Was mir deutlich besser geschmeckt hat als bei Rezepten aus anderen Kochbüchern zur georgischen Küche.
Wassermelone & Fisch, das ist eine Kombination die gewöhnungsbedürftig klingt. Als Olia nach Lankaran kam, eine Stadt im Südosten Aserbaidschans am Kaspischen Meer, servierten ihr die Verwandten ihrer Freundin Zulja zum Abendessen Wassermelone mit Tulum, einen köstlichen regionalen Salzfisch mit blättrigem Fleisch und rustikales Fladenbrot dazu. Die Verbindung aus süßer, saftiger Frucht, salzigem Fisch und Brot überzeugte sie vollkommen. Endlich ging ihr ein Licht auf, warum ihre Eltern in Kiew gerne zu sonnenreifen Wassermelonen Brot gegessen hatten. Einzig das Salz hatte bei dieser Zubereitung gefehlt, um daraus etwas unglaublich leckeres zu machen. Wenn Olia zu Hause in London gelegentlich georgische Dinner-Abende gibt, serviert sie dazu gerne Fisch mit Pistazien-Blumenkohl-Sauce & Kindzmari (eine süß-saure Kräutersauce).
Walnüsse, Kräuter, Gewürze
Neben Walnüssen (z. B. für Auberginenrouladen mitWalnusspaste) und Gewürzen spielen jede Menge frische Kräuter eine große Rolle: wilder Thymian, Estragon, Dill, glatte Petersilie, junges Sellerie-Grün, rotes Basilikum und natürlich Koriander sind von großer Bedeutung für die kulinarische DNA Georgiens, dass schon zu Sowjetzeiten, als reinstes Schlemmer-Paradies galt. Chmeli Suneli, die berühmte georgische Gewürzmischung variiert in der Zusammensetzung und kann lt. Herkules bis zu 20 verschiedene getrocknete Kräuter und Gewürze enthalten. Die gängigsten Bestandteile sind Schabzigerklee (Blätter und Samen), Koriander, Fenchel, Gewürznelken, Ringelblumen, Minze, Dillsaat und Sommerbohnenkraut. Olia Herkules verwendet statt der traditionellen Würzmischung gerne oft nur Schabzigerklee. Sein komplexer und sanfter Geschmack geht in Richtung Garam Masala. Guter Schabzigerklee schmeckt und duftet wie zehn Gewürze auf einmal! – erklärt mir die Köchin. Ringelblüten sind zwar sehr typisch für die Küche Georgiens, die Autorin lässt sich jedoch als Geschmacksexpertin nur von seinen färbenden Eigenschaften überzeugen. Gerade diese akribische Arbeit, bei der es ausschließlich um Geschmack geht, schätze ich an der Herangehensweise von Olia Herkules bei diesem wunderbaren Kochbuch zur kaukasischen Küche.
Und was gibt es sonst?
Zum Beispiel das aserbaidschanische Nationalgericht Plov (Pilaw). Ein Reisgericht, das traditionell meist mit Hammelfleisch und anderen Zutaten gekocht wird. Herkules hingegen serviert Plov mit Hühnerfleisch, Kastanien oder Trockenfrüchten und ich bin ihr sehr dankbar dafür. Ihre Geheimzutat beim sehr ansprechenden Rezept für ein Schah-Plov, das von Zulja aus Baku stammt, jede Menge geklärte Butter sorgen für ein besonderes Geschmackserlebnis. Jetzt kommt es raus, Herr Schuhbeck kann die braune Butter nicht allein für sich in Anspruch nehmen. Insgesamt soll es über 100 verschiedene Plov-Arten geben Auch Dolma (Gefüllte Weinblätter) sind eine beliebte Spezialität der Region und werden hier mit Fleisch, Gewürzen (Kreuzkümmel, Koriandersaat) und Kräutern (Minze, Koriander, Dill) serviert.
Schmerz, lass nach!
Trinkfest sollte man schon sein, wenn man im Kaukasus unterwegs ist. Der eine oder andere Wodka fließt am Abend schon durch die Kehle. Kaum verwunderlich, dass man sich in der ganzen Region ziemlich gut auf ein deftiges Frühstück versteht, z. B. mit fermentierten grünen Tomaten oder kräftebelebenden Fleischsuppen wie einer Chasch, der ultimative Katerkiller, eine dicke Brühe mit viel Fleisch, so einfach wie genial findet die Herkules.
Süße Sachen….
Für Süßschnäbel gibt es z. B. Profiteroles mit armenischen „Kognak“, der eigentlich nur Weinbrand ist oder sonnenreife Pfirsiche für den Wintervorrat eingelegt. Buchweizeneis, Nanas Muffins mit Pinienkernen und eine köstliche Zitronentarte von Walja, die aus Zulja Konditorei in Baku stammt, sind ebenfalls im Angebot. Eigentlich arbeitet diese am Konservatorium als Klavierlehrerin, das mag ihren Hang erklären, ihren Desserts gerne musikalische Namen zu geben. In ihrem Rezept dient der Apfelessig als Katalysator für das Natron, das als Backtriebmittel fungiert – in der UdSSR war Hefe oft schwer zu bekommen. Zum intensiven Zitronengeschmack der Tarte passt eine kräftige Tasse Tee ohne Milch, findet Hercules.
Fazit: Was ist besonders – oder Kaukasis ist mehr als ein Kochbuch!
Man merkt Olia Herkules auf jeder Seite dieses schönen Kochbuchs an, sie wollte kein beliebiges Kochbuch über den noch sehr traditionellen Kaukasus schreiben und ist deshalb tief in die Region eingetaucht. Sie hat die unterschiedlichsten Menschen dazu getroffen, Bäuerinnen in den georgischen Bergen besucht und vor Ort mit allen viel gekocht. Es geht im Buch neben Fisch, Fleisch, Obst und Gemüse auch um die tief verwurzelten Kulturtechniken wie Fermentation und Einlegen, die diese Region, in der buchstäblich vom Joghurt über den Käse bis zu den Nudeln noch das allermeiste, was die Menschen und ihre Familien tagein und tagaus essen, selbst gemacht wird. Kaukasis geht viel weiter als „Mamuschka“ das erste Kochbuch von Herkules. In diesem Buch geht es ihr darum, wirklich authentische Rezepte zu präsentieren und vor allem die Menschen dahinter persönlich vorzustellen. Alle Rezepte wurden von Herkules in London noch verfeinert und behutsam angepasst, jedoch niemals soweit, dass die Handschrift der Menschen und der Region verloren ging. Da ist viel Können im Spiel und es ist vor allem sehr mutig, weil wir heute ganz anders leben und kochen! Genau das macht dieses Buch einzigartig, für Köche, die den Kaukasus, seine Menschen und Gerichte, endlich richtig kennenlernen wollen. Mir hat dieses Buch so viel Spaß gemacht und ich kann jetzt endlich die ersten Pflaumen im Garten ernten, um unter kundiger Anleitung meine erste Tkemali (Pflaumensauce) herzustellen.
Herzlichen Dank für die Übersendung als Rezensionsexemplar!