Meera Sodha: Indisch Vegetarisch
Fotos: David Loftus
Verlag Dorling Kindersley
Preis: 24,95 €
Fresh India!
Worum geht’s?
Manchmal muss man einfach renovieren!
Indische Küche ist in die Jahre gekommen, Kritiker wollen keine fett-triefenden frittierten Snacks mehr und wer bevor es eigentlich mit einem Curry los geht, schon 30 Minuten für die Würzpaste investieren soll, hat definitiv nur ab und zu mal Lust, ein Feuerwerk der Aromen zu entfachen, kommt aber niemals auf die Idee, dass indische Küche alltagstauglich ist. Ist sie auch so nicht und deshalb sind in den letzten Jahren die Rufe nach einer modernen alltagstauglichen indischen Küche immer lauter geworden.
Länderküche soll endlich regional und saisonal werden, dass sind wir unser Umwelt schuldig!
Hinzu kommt, dass sehr viele Expatriates schon in der 3 oder 4 Generation in London oder sonst wo in Europa leben und bei vielen das Bedürfnis groß ist, mit saisonalen und regionalen Produkten ihrer neuen Heimatländer zu kochen, statt für teures Geld im Asia-Laden importierte Früchte und Gemüse zu erstehen, die häufig gar nicht besser mit den Ursprungs-Rezepten harmonieren und zudem eine Energie-Bilanz aufweisen, die mehr als fragwürdig ist.
Veränderte Lebensumstände haben immer auch Auswirkungen auf Kochtraditionen!
Die moderne indische Küche muss sich also sputen, wenn sie mithalten will und all diese Bedürfnisse erfüllen, um nicht Gefahr zu laufen, wie ein ausgemustertes Möbelstück in der Versenkung zu verschwinden. Hinzu kommt, dass in Indien selbst in den Business-Metropolen wie Mumbai oder Bangalore viele Inder inzwischen genau dieselben Anforderungen an eine moderne Landesküche stellen.
Bitte nicht nur eigene Kreationen, sondern auch alltagstaugliche traditionelle Rezepte mit Pfiff!
In den letzten 10 Jahren haben viele Exil-Inder versucht, hier für Abhilfe zu sorgen, zumindest was die nicht vegetarischen Kochbücher angeht, wenige können halten was sie versprechen, weil sehr einseitig auf die Materie geschaut bzw. nur noch eigene Ideen präsentiert werden. Kaum jemand kam auf die Idee, sich erst mal in Indien nach leckeren neuen Ideen umzuschauen und sich zu Hause dann mit Augenmaß und kulinarischer Expertise an die schrittweise Adaption auf moderne Bedürfnisse heran zu machen. Eine saisonale regionale Ausrichtung dieser Rezepte für europäische Verhältnisse ist ebenfalls Fehlanzeige zumindest bei den Kochbüchern, die ich dazu in den Händen hatte.
Wir wollen gesünder essen, das gilt auch für die Länderküche!
In der Ernährung hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan, nur vegetarisch reicht heute für viele nicht mehr aus. Es gibt inzwischen Familien, bei denen häufig Esser mit unterschiedlichen Unverträglichkeiten regelmäßig mit am Tisch sitzen. Jenseits von Trends wie Vegan, Paleo oder ähnliches, denken die meisten immer mehr über eine gesunde Ernährung nach. Es geht dabei weniger um Kalorien, als um eine adäquate Ernährungsform, die einfach besser zu unserem heutigen Lebensstil passt. Viele Jahre ist hier nichts passiert und bis in die 2000er Jahre haben vegetarische Kochbücher nur jeweils andere Ideen und Gerichte präsentiert als ihre Vorgänger vor 20 oder 30 Jahren. Erst in den letzten 5 Jahren beobachte ich eine wirkliche Veränderung. Hier gibt es viel Potential, dass noch entfaltet werden kann und es kann natürlich auch jede Menge falsch gemacht werden, wenn Büchermacher sich damit zufrieden geben Trends zu bedienen und der Eindruck entsteht, Autoren wollen nur schnell ein trendgerechtes Buch mit Rezepten füllen und stehen nicht mit ihrer ganzen Person, Vita hinter einem solchen Ansatz. Geschweige denn kommt bei einem als Leser die Überzeugung auf, das präsentierte steht auch wirklich unter der Woche bei diesem Koch oder dieser Köchin auf dem Essenstisch.
Wie geht moderne vegetarische indische Küche? – oder die Ansprüche sind vielfältig!
Meine Anforderungen an ein modernes und alltagstaugliches vegetarische indisches Kochbuch sind also gesetzt, mal schauen, ob Meera Sodha, die Hürde für mich nimmt, ich habe auch noch was in Petto, was für mich außerdem ein sehr gutes Kochbuch immer haben sollte, leichter und differenzierter Zugang für die unterschiedlichen Bedürfnisse der Leser, ein gutes Register, Tipps und vor allem Bezugsquellen, die es allen möglich machen z. B. an die frischen Curryblätter zu kommen.
Abspeckprogramm für altbewährte Klassiker und saisonale Vielfalt, genau mein Ding!
Die einen wollen das es schnell geht, für die anderen soll es authentisch bleiben, aber bloß keine fettigen frittierten Kalorienkiller, wer sagt denn das Samosas nur so vor Fett triefen müssen. Meera präsentiert neue Ideen dafür z. B. mit einer Champignon-Walnuss-Füllung und es geht sogar noch mehr mit einer weiteren Füllung aus Lauch, Erbsen und Minze zeigt sie uns, dass wir die altbewährten Pfade durchaus verlassen können und manchmal dabei sogar noch was kulinarisch Spannenderes dabei herauskommt. Schön, dass sich in diesem Buch noch jemand Zeit nimmt zu erklären, wie die perfekte Falttechnik für die leckeren Happen funktioniert. Beim Teig greift diese Köchin auf Filoteig zurück und natürlich landen die Samosas nicht in der Friteuse, sondern werden im Backofen zubereitet. Warum nicht auch mal die Okras und Auberginen mit dem saisonalen Angebot ersetzen. Bohnen, Erbsen und Spargel sind im Frühling wunderbar und die dicken Knollen, die nach dem ersten Frost am besten schmecken sind toll für Currys und wärmen uns wie das leckere und herrlich einfache Süsskartoffel-Vindaloo oder ein aromatische Wurzelgemüse-Curry aus Madras beweisen. Die gute Nachricht dabei, Zutatenlisten und Aufwand sind überschaubar. Außerdem freue ich mich über Rezepte mit Roter Bete wie z. B, die Rote Bete Pachadi (mit einer Würzpaste überbackene Scheiben von der roten Bete, die in Indien als Beilage zu Currys serviert wird), bisher bin ich davon ausgegangen, dass man Rote Bete in Indien gar nicht kennt. Ich fühle mich mit meinen Wünschen erkannt und vor allem liefert Meera Sodha jede Menge neue Optionen meine Passion für die vegetarische indische Küche nach Herzenslust auszuleben. Dies ist allerdings kein Zufallstreffer, sondern diese Lady bringt perfekte Voraussetzungen dafür mit: Meera`s Familie stammt aus dem Gujarat, einer Region die in Indien für eine frische sehr Gemüse dominierte Küche bekannt ist, außerdem sind dort viele der traditionellen Gerichte rein vegetarisch, auch aus religiösen Gründen. Aufgewachsen ist Meera Sodha in einer indischen Familie in einem Bauerndorf in Lincolshire und ihre Mutter hat zu Hause stets indisch gekocht, wenn sie allerdings von der Nachbarin oder der Bäuerin in der Straße Zucchini, Mangold oder Rhabarber geschenkt bekam, dann gab es abgewandelte Versionen der indischen Klassiker und so kamen z. B. Zucchini-Kofta, Mangold Saag (hier eine Art Gemüse-Kartoffel-Pfanne in Indien allerdings häufig nur mit Spinat zubereitet) oder Rhabarber-Chutney anstelle der Klassiker auf auf den Tisch.
Modernisierte Familien-Rezepte, alltagstaugliche neue Kreationen, mit authentischer Vorlage!
Diese Lady praktiziert im schönen Buch eine Gemüseküche voller kräftigen Aromen, einige Rezepte sind Familienrezepte, vieles anderes hat sie sich auf den Reisen durch Indien von Menschen abgeguckt, die sie unterwegs traf – von Hausfrauen, Straßenverkäufern Tempelköchen oder Küchenchefs in Restaurants. Wieder anderes ist beim Experimentieren mit klassischen Kochtechniken und Geschmacksrichtungen in ihrer Küche entstanden. Dabei sind ganze 130 klasse Kombinationen von Tamarinden- Salat als Vorspeise über Auberginen-Curry als Hauptspeise bis zu einem bengalischem gebackenen Joghurt mit Tamarindenbeeren zum Dessert entstanden (für den ein Käsekuchen Pate stand), die vielen Ansprüchen und Zeitbudgets genügen. Diese folgen dem Lauf der Jahreszeiten und orientieren sich am Angebot auf dem Markt, wenn im Spätsommer der erste Mais reif ist, gibt es den bei Meera gerne nach Gujarat-Art mit einer herzhaften Kichererbsen-Erdnuss-Sauce und im Herbst haben es ihr die Pilze angetan und sie verfeinert ihre Gerichte gerne mit ein paar schmackhaften Pfifferlingen oder serviert Wildpilze mit Bulgur und Koriander-Chutney.
Ich mag es praktisch und freue mich über die alternativen Inhaltsverzeichnisse!
Die Struktur der Rezepte geht zum Glück nicht den klassischen Weg und führt uns Leser von Vorspeise bis zum Dessert-Finale, sondern orientiert sich geschickter Weise auch an saisonalen Lieblingen wie Auberginen, Wurzelgemüse, Hülsenfrüchte, Eiern + Käse, Salate, Reis, Pickles, Chutneys + Raitas und selbstverständlich auch Desserts, Brot und sogar Drinks werden mit eigenen Kapiteln bedacht. Das macht dieses schöne Buch auch für Veganer und Leute mit diversen Intoleranzen und Unverträglichkeiten sehr benutzerfreundlich. Praktische Piktogramme helfen zudem das Richtige zu finden, wenn unterschiedliche Dispositionen am Tisch dabei sind. Auch der Feierabend-Salat nach einem heißen Tag im Büro ist möglich, wie wäre es mit einem Tomaten-Kichererbsen-Salat mit Limetten-Tarka? Ganz nebenbei erzählt Meera außerdem noch von typischen indischen Heilmitteln, von Missgeschicken in der Küche und davon, wie verunglückte Gerichte doch noch zu retten sind. Verschiedene Menüvorschläge und Tipps zur richtigen Präsentation der Speisen machen mein Glück perfekt, soviel geballte Kreativität, Praxistauglichkeit und Nachhaltigkeit, mir fällt wirklich nichts mehr ein, was ich mir noch wünschen kann, denn ich erhalte mit den alternativen Inhaltsverzeichnissen (da werden die Anfänger genauso wie die Wochenend-Köche bedacht oder der Vorratsschrank geplündert und die Gemüseernte verarbeitet) sogar noch mehr. So kann jeder ganz nach persönlichem Gusto und Zeitbudget, genau das richtige Rezept schnell und leicht finden.
Wie viele Gewürze braucht es für das Aromafeuerwerk?
Aromafeuerwerke bedeuten keinesfalls nur viele Gewürze, sondern in der Regel kommt man mit Tamarinde, Garam Massala, Kreuzkümmel, Koriander und Kurkuma ziemlich weit in diesem Buch. Indische Küche bedeutet vor allem, dass die verwendeten Gewürze optimal vorbereitet werden, dazu unerlässlich das Rösten vor dem Mahlen der Gewürze und das macht Meera immer! Häufig wird bei der klassischen Küche bevor es los geht, allerdings nicht nur geröstet und gemahlen, sondern spezielle Würz-Pasten hergestellt und das fesselt einen stundenlang an die Küche, wenn man mehrere Gerichte präsentieren möchte, ist aber letztendlich auch verantwortlich für den Aroma-Booster und nicht nur die Menge an unterschiedlichen Gewürze. Die Übersetzung wartet konsequenter mit einer Online-Bezugsadresse auf, wo wir z. B. frische Curryblätter bestellen können, denn die sind mancherorts wirklich schwer zu bekommen. Mehr kann man nicht erwarten, wenn man authentisch indisch kochen will. Wer darauf keine Lust hat, verwendet die getrocknete Variante, das geht zur Not auch. In diesem Buch wurde sehr intelligent und praxistauglich eine Reduktion der Komplexität herbeigeführt, denn darum geht es und nicht nur um die Anzahl der unterschiedlichen Gewürze. Der Spagat ist für mich hier sehr gelungen es ist weniger komplex ohne das der authentische Geschmack flöten geht!
Praxistest:
Los ging es bei mir mit selbstgemachten Papadams mit Tomaten-Masala. Habe ich noch nie selbstgemacht, sondern höchstens fertige Waffeln gekauft und in der Pfanne zubereitet. Im Original werden die ja beim Inder immer frittiert. Furchtbar fettig, obwohl der Linsenteig lecker ist. Bei Meera’s Kreation muss man schon ganz schön basteln und das ausrollen will definitiv gelernt sein, aber ich fand es richtig klasse in Kombination mit dem frischen Tomaten-Chutney. Fazit frischer Wind für einen angestaubten Vorspeisen-Klassiker, den dieser dringend gebrauchen konnte. Die selbstgemachten Papadams katapultieren dieses Gericht in eine ganz andere Liga. Außerdem sollte es noch was Einfacheres sein, dass auch noch nach Feierabend funktioniert, da habe ich mich für Park Street Kati-Rollen entschieden, ein in Ei gebratenes Paratha (Brot), das mit Paprika und Panir und etwas grünem Chutney gefüllt wird. Gefüllte Brote, sind beliebt in der indischen Küche, aber in der klassischen Variante sowas von kompliziert, dass ich mich bisher nie an sowas herangewagt habe. Mit diesem Rezept habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht. Richtig lecker und Feierabend tauglich. Panir (Käse) und Paratha konnte ich im indischen Laden um die Ecke fertig kaufen. Zum Schluss die Königs-Disziplin, ein Dal, hier ein Gujarati Dal mit Erdnüssen und Sternanis, bei den Gewürzen war ich erstaunt, aber fand es am Ende oberlecker. Natürlich habe ich ein wenig recherchiert und mit die Original-Vorlagen im Netz angeschaut und da fehlt bei Meera eigentlich nichts. Manche verwenden noch gemahlenen Koriander. Wer will, ergänzt noch geriebenen Ingwer. Uns hat alles ausgezeichnet geschmeckt, ich finde diese Köchin hat Augenmaß und große Kreativität bei ihrer vegetarischen modernen indischen Küche bewiesen.
Fazit oder Gretchenfrage, wie authentisch indisch wird hier gekocht?
Wer 100% India-Feeling auf dem Teller will, bleibt für meinen Geschmack, lieber beim Altbewährtem, alles andere macht keinen Sinn, denn er wird mit keinem modernen indischen Kochbuch glücklich werden, das funktioniert technisch und kulinarisch nicht. Wer offen ist, für neue Ideen und Klassiker in einem neuen Gewand sucht, die vieles besser können und weder die Köche, noch die Gewürzschränke überfordern oder unser Heim in eine Frittenbude verwandeln, ist hier goldrichtig! Ergänzt wird das ganze durch viele authentische Inspirationen aus Indien, Sri Lanka und sogar Uganda, die frisch für uns von einer kundigen Köchin mit indischen Wurzeln und dem Blick auf europäische Produktwelten in klasse Ideen übersetzt wurden. Einheitsbrei, Lieblosigkeit oder mangelnde Authentizität gibt es in Meera Sodha‘s schönem Kochbuch nicht.
Wir sind damit bei 97% Real-India in unserer Küche angekommen, die restlichen 3 % sind nur möglich, wenn man sich strikt der Klassik verschreibt, mit allen Nachteilen, die das für unsere Küche, unsere Zeitbudgets und unsere Gewürzschränke hat. Ich bin sehr glücklich, über die 97 % moderne indische Küche, die auch bei mir zu Hause funktioniert und das nicht nur am Wochenende dieses Buch ist ein prima Kumpel für mein klassisches vegetarisches indisches Kochbuch geworden.
Herzlichen Dank für die Übersendung als Rezensionsexemplar.