Fermentieren leicht gemacht

Unbenannt-2

Luna Kyung: Fermentieren leicht gemacht

Das umfassende Buch mit 150 Rezepten aus aller Welt

Fotos: Camille Oger

Stocker Verlag

Preis: 29,90 €

Fermentierung oder die schöne Schwester der Fäulnis!

Worum geht’s?

Es mag zwar nicht jedem gefallen, aber Fermentierung ist wirklich nur ein kontrollierter Prozess der Zersetzung. Vor 9000 Jahren von den Chinesen angewandt, blickt diese Kulturtechnik auf eine jahrtausendalte Tradition zurück. Manche Historiker vermuten sogar, dass das Interesse an der Fermentation der Gewinnung von Alkohol galt, als Schmerzmittel, Desinfektionsmittel und Droge einsetzbar, war dieser für die Menschen eine äußerst attraktive Substanz und so wurde das Wissens um dessen Herstellung von Generation zu Generation weitergeben. Die Idee Speisen zu fermentieren ist etwas jünger, doch blickt auch diese auf eine lange Geschichte zurück: Vor etwa 5000 Jahren wurde in Babylon schon Milch vergoren, die Ägypter kannten bereits vor 3500 Jahren Brot und die Gemüsefermentierung hat wahrscheinlich ihren Ursprung in China und ist ebenfalls tausende von Jahren alt. Unterschiedliche lokale Bedingungen, lokale Produkte und historische Gegebenheiten führten dabei weltweit zu einem großen Produktspektrum. Wem man allerdings genauer hinsieht, werden erstaunliche Parallelen bei den unterschiedlichen Rezepten in völlig gegensätzlichen Regionen unseres Globus erkennbar. Seit einigen Jahren, erlebt diese überlieferte Technik endlich wieder ein Revival, auch der weltweite Siegeszug des koreanischen Kimchi hat entscheidend dazu beigetragen. Immer mehr Menschen sind es leid, industriell fermentierte Produkte zu kaufen, die häufig zu viel Zucker und Salz beinhalten und deren Herstellung nur der Optimierung unterworfen wurde, um möglichst kostengünstig und in großen Mengen Produkte an den Verbraucher zu bringen. Viele von uns besinnen sich gerne auf Kindheitserinnerungen, wo von Omas und Müttern noch alles was im Sommer in Garten geerntet wurde, für den Winter konserviert wurde.

Fermentieren macht Spaß und lässt den stressigen Büroalltag vergessen!

Wir besitzen seit einigen Jahren, einen kleinen Obstgarten, der mich im Sommer an Wochenenden voll und ganz fordert, weil die Obstbäume mir so ans Herz gewachsen sind, das jede Frucht, die auf dem Kompost landet, mir in der Seele weh tut. Vor zwei Jahren haben wir das erste Mal mit der Hilfe eines befreundeten Winzers einen Pflaumenschnaps hergestellt und auch wenn es unglaublich viel Arbeit war, möchte ich diese Erfahrung nicht missen, weil es eine herrliche Entschleunigungs-Beschäftigung zum Büroalltag war. Inzwischen bringen Nachbarn und Verwandte den Überschuss ihrer Gartenernte vorbei, wir machen Gurken oder Pickles ein und auch Kimchi und Sauerkraut haben wir schon probiert. Besonders die eingelegten Salzgurken, haben mir deutlich vor Augen geführt, wie geschmacksneutral die industriell gefertigten Produkte daher kommen. Wer einmal ein Glas selbstgemachte Gurken gekostet hat, ist für immer gegen die schlecht und billig produzierte Supermarktware immun. Meine chinesische Schwägerin war neulich ganz erstaunt welche Unterschiede hier bestehen und hat gleich für die Sommerernte eine Bestellung bei uns aufgegeben. Ein schöneres Kompliment und mehr Ansporn kann es eigentlich nicht geben, wenn man sich regionaler Vielfalt und individuellem Geschmack verpflichtet fühlt und Geschmack nicht von der Industrie auf diktieren lassen möchte.

Wie sieht es aus?

Eine schöne großformatige Bibel liegt vor mir, die sowohl mit fröhlichen Farben als auch wertiger Ausstattung erfreut. Angenehm das hier auf jegliches Zuviel und Chichi bei den Rezeptfotos verzichtet wurde, das hätte dem Thema nicht wirklich gut getan. Das Layout unterstützt Lesbarkeit und wirkt sehr strukturiert und schmeichelt ein wenig mit Farbe und asiatischem Purismus. Insgesamt eine sehr gelungene Präsentation, meistens gibt es zu den Rezepten ansprechende Fotos.

Bei den Rezepten ist Vielfalt angesagt!

150 Rezepte aus aller Welt führen in die Vielfalt von vergorenen Produkten ein, unterteilt in die Rubriken:

Gemüse
Getreide & Hülsenfrüchte
Früchte & Blätter
Milchprodukte, Eier, Pilze & Algen
Saucen & Würzmittel
Getränke

geht die Reise von Sauerkraut und sauren Rüben über eingelegte Pilze auf polnische Art und russische Essiggurken bis hin zu türkischen Pickles, philippinischen Eiern und koreanischem Kimchi. Die Palette gesundheitsfördernder Rezepte beinhaltet auch Sauerteigbrot, Feigenchutney, selbst gemachtes Tomatenketchup und Sojasauce, Joghurt und Frischkäse, aber auch Getränke wie Kombucha, Kwass und Kokos-Limetten-Kefir.

Die Quellenangaben sprechen ebenfalls diese akribische Sprache, hier wurde eine Fülle von Material und weiterführender Literatur zusammengetragen, deren weitere Nutzung allerdings ein bisschen Englischkenntnisse voraussetzt, denn Fermentieren ist bei uns in den letzten Jahren eher stiefmütterlich behandelt worden.

Was gibt es denn?

Rote Tomaten nach russischer Art

Salvadorianisches Sauerkraut

In Miso eingelegter Spargel

Türkischer Gemüsemix

Wilde Blätter in Sojasauce

Reishäppchen mit Wildblättern

Kleine Zwiebeln in Granatapfelsaft

Gemüse Acar aus Le Réunion oder Malaysia

Indische Dosas

Bretonische Pfannkuchen

Koreanisches Reisgebäck

Kirschblätter in Salzlake

Salzerdbeeren

Fermentierte Butter nach marokkanischer Art

Getrocknetes Eigelb nach chinesischer Art

Chilipaste mit Joghurt (Gochujang)

Schottischer Karamell

Gewürzessig nach philippinischer Art

und vieles mehr…..

Wer sind die Autoren?

Luna Kyung, in Frankreich lebende Koreanerin, ist Expertin auf dem Gebiet der Fermentierung von Soja und von Gemüse für Kimchi. Ihre Küchenexperimente präsentiert sie regelmäßig auf ihrem Blog etrangerecuisine.canalblog.com

Camille Oger, französische Journalistin und Fotografin, erkundet gerne die Kochtraditionen vor allem ostasiatischer Länder. Ihre Reportagen veröffentlicht sie unter anderem auf ihrem Blog www.lemanger.fr.

Spagat zwischen modernem Geschmack und vereinfachten Techniken gelungen!

Das schöne Buch von Luna Kyung schafft den Spagat zwischen althergebrachten Techniken und unserem modernem Geschmack und passt Rezepte geschickt an, weniger Zucker als Industrieprodukte, vereinfachte Techniken, so dass auch Miso und Gochuang-Paste zu Hause gelingen. Sie lässt sich was einfallen, denn beides ist ohne entsprechende Begleitung daheim fast nicht zu schaffen. Besonders selbstgemachte Misopaste, ist auch bei Fermentier-Profis ein gefürchteter Gegner, ihr Rezept greift kurzerhand auf nicht sterilisiertes Miso aus dem Bioladen zurück und reaktiviert und vermehrt die sich darin befindlichen Mikroorganismen. Als Koreanerin geht sie dabei auch gleich in die Vollen, denn das Rezept ist für 800 g Paste ausgelegt und verlangt 500 g nicht pasteurisiertes Bio-Hatcha-Miso.

Expertenwissen für koreanische und japanische Traditionen!

Beeindruckend ist ihre Kenntnis bei koreanischen und japanischen Traditionsrezepten. Das allein ist eigentlich schon den Kauf des Buches Wert, aber ebenso viel Tiefe attestieren ihr auch die osteuropäischen Rezepte, was mich persönlich sehr freut, denn auch hier kann man ebenso wie im asiatischen Raum die Wiege der Fermentation vermuten. Trotzdem glaube ich, ist das Buch etwas für Leser, die wirklich tief in das Thema einsteigen möchte, wer nur in das Thema reinschnuppern will, ist hier sicherlich gut begleitet, aber möglicherweise von der Rezeptauswahl erschlagen, es geht hier definitiv um mehr als Kimchi und Salzgurken und das ist auch gut so, denn Bücher mit so viel Expertenwissen vor allem bei den koreanisch asiatischen Rezepten gibt es in Europa bisher nicht. Abgerundet wird das ganze durch einen umfassenden Rundumblick und so bleiben auch amerikanische und europäische Traditionen zur Fermentierung nicht auf der Strecke.

Erst Technik, dann Rezepte, so kann ich mich in fremde Geschmackswelten einfühlen!

Die Autorin präsentiert zu den vielen Grundrezepten, häufig auch Ideen wie diese weitere Anwendung finden können, so wird neben einem Sauerkraut-Rezept auch ein polnisches geschmortes Sauerkraut mit Äpfeln und ein leckeres Rezept für Pierogi geliefert und die roten Bete nach ukrainischer Art sind eine unverzichtbare Basis für einen schmackhaften Borschtsch, hier ganz ohne Fleischeinlage. Das Rezept für ein pikantes Kimchi mit Kohl besticht zum einen mit einer sehr detaillierten und zum anderen mit einer sehr anschaulichen Anleitung außerdem liefert Luna Kyung noch eine vereinfachte Version, bei der der Kohl in Streifen geschnitten wird und deshalb nur 3 statt 10 Stunden in Salzlake eingelegt werden muss. Bei dieser Variante wird allerdings auf den Rettich verzichtet. Ein Rezept für Käse-Kimchi-Pfannkuchen ist eine prima Weiterverarbeitungsmöglichkeit. Beim Daikon nach japanischer Art, wo sich die geballte Kompetenz der koreanischen Bloggerin offenbart, wird weißer Rettich erst getrocknet und dann in Weizenkleie fermentiert, da Reiskleie in unseren Breiten nur schwer zu bekommen ist. Das Ergebnis ist ein knallgelber Takuan, wie es ihn in japanischen und koreanischen Lebensmittelläden zu kaufen gibt, hier allerdings mit weniger Salz und ein wenig mehr Zucker als im Traditionsrezept, so dass es unserem modernen Geschmack entspricht, ohne jedoch – wie beim Industrieprodukt – vordergründig nur nach Zucker zu schmecken. Der Takuan macht sich auch hervorragend im Kimbab (in Algen gerollter Reis) und so etwas wie eines der koreanischen Nationalgerichte.

Benutzerfreundlichkeit mit Licht und Schatten!

Schön das die Rezepte für uns Leser anschaulich präsentiert werden, denn diese weisen mit Symbolen sowohl Zubereitungszeiten als auch die Dauer der Fermentierung und die Haltbarkeit prominent aus.

Was leider nicht so gut gemacht worden ist, diesem Buch fehlt ein Register und der Leser muss mit einem zugegebenermaßen sehr umfangreichen Inhaltsverzeichnis auskommen, besser als nichts, aber nicht optimal. Natürlich ist das viel Arbeit und die hat man hier offenbar gescheut, dass Buch verschenkt aber damit einiges Potential und das finde ich sehr schade.

Fazit oder für wen ist das was?

Das Buch bringt viel Potential mit, weil es das Thema in einer Ausführlichkeit präsentiert, wie ich es woanders, besonders auch im Netz in dieser komprimierten Form nirgendwo entdeckt habe. Man merkt die Autorin ist eine Expertin und zeichnet sich besonders bei den koreanischen und japanischen Rezepten aus, sie verfügt zudem über viel Detailwissen und ihr gelingt der Spagat zwischen Tradition und Moderne genauso wie sie in der Lage ist, komplexe Rezepte auf ein Niveau für interessierte und ambitionierte „Neu-Fermentierer“ herunter zu brechen. Die Quellenangaben und Adressen machen es dem engagierten Leser leicht viel tiefer in das Thema einzusteigen. Insgesamt sehr gelungene Präsentation für Leser, die mehr wissen möchten, leider fehlt ein Register, das hätte das Buch für mich perfekt gemacht. Ein notwendiges und wichtiges Buch zum Thema, das sehr anschaulich ist, für mich ein Fall für Menschen, die umfassend in die Materie einsteigen wollen und definitiv kein Buch für Gelegenheits-Fermentierer. Was ich hier aber gerne als Kompliment verstehen möchte. Mir hat das Buch ausgesprochen gut gefallen!

Vielen Dank für die Übersendung eines Rezensionsexemplars.

3 Gedanken zu “Fermentieren leicht gemacht

  1. Das Buch liegt hier auch – und es ist wirklich ein Schatzkästchen. ich fermentiere grad alles, was sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringt ;-).

    Like

    1. Ja, ich habe mich heute Morgen direkt gefreut, als ich Deinen Beitrag zu Kombucha gelesen habe, wozu in die Ferne schweifen wenn man ein Netzwerk hat, das genauso tickt!

      Like

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.