Tim Mälzer: Vierundzwanzigsieben kochen
Fotos: Reinhard Hunger, Matthias Haupt u. Frank Meyer
Preis: 28,– €
Wie sieht es aus?
Er macht sein eigenes Ding!
Kochbücher sind entweder schick oder spießig, dazwischen scheint es nicht viel zu geben….. Ist ein berühmter Autor am Start, nutzt die Vermarktung beim Cover gerne das Konterfei des jeweiligen Protagonisten, um zusätzliche Aufmerksamkeit für den Titel zu generieren. Herrn Mälzer attestieren viele Zeitgenossen – nicht ganz zu Unrecht – eine gewisse Selbstverliebtheit, dennoch hält er offenbar nicht viel davon, wenn ihn morgens beim Kaffee kochen sein Konterfei aus dem Kochbuch-Regal entgegen lächelt. Das poppige fröhliche Cover, dass er für dieses modernes Alltagskochbuchs stattdessen gewählt hat, ist optisch ein Hingucker, sein puristisches Layout passt perfekt dazu, eine kluge Entscheidung des Hamburgers damit eigene Akzente zu setzen..
Der Chef und seine Experten
Tim Mälzer hat Deutschlands Kochgewohnheiten umgekrempelt. TV-Koch, Gastronom, Buchautor und Unternehmer – er ist der mediale Star am Herd. Seit 20 Jahren ist er im TV erfolgreich, sein lässiger Kochstil hat tausende Fans zu begeisterten Hobbyköchen gemacht. Die frische und kreative Küche zu alltagstauglichen Preisen ist seine Stärke.
Wenn Küchen-Profis sich an ein Buch-Projekt machen, sind diese heutzutage oft nicht allein unterwegs und leisten sich gerne engagierte Unterstützung, vom Kochbuch-Verkauf allein leben die allermeisten sowieso nicht! Ottolenghis vegetarische Kolumne im Guardian wäre nicht denkbar, ohne ein Team dahinter, das jeden Tag auf die Jagd nach neuen Rezept-Ideen geht und Jamie Olivers Imperium setzt ebenfalls auf die fleißigen Hände dienstbarer Geister, die notfalls ein Rezept so lange probieren, bis trotz der Begrenzung auf lediglich 5 Zutaten und vereinfachter Zubereitung, das bestmögliche Ergebnis auf dem Tisch steht. Der Fernsehkoch aus dem Norden hat schon vor vielen Jahren Marcel Stut zum Projektleiter gemacht, der die Entwicklung kreativer Rezepte beim Magazin Essen & Trinken von der Pike auf erlernte und sich viele Jahre für das Magazin tolle Rezepte ausgedacht hat, dasselbe gilt übrigens für Anne Haupt, die dieses Kochbuch-Team komplettiert. Beide sind außerdem Profi genug, es für 24/7 einfacher und zugänglicher für „Normalos“ zu machen, ohne dass die Spannung auf dem Teller flöten geht.
Visionen für einen neuen kulinarischen Alltag!
Für Mälzer als Chef spricht für mich, dass er sich in seinem Team stets mit Profis und Gleichgesinnten umgibt und nicht wie die „O’s“ aus London die Kreativität junger Talente zu Nutze gemacht hat. Wie jeder guter Gastronom ist Tim Mälzer nicht der Mann der alles allein macht, aber sehr eigene Vorstellungen davon entwickelt hat, wo er mit seiner Alltagsküche hin will, dass er dabei keine kleinen Brötchen backt, versteht sich fast von selbst……..
„Das Einfache« ist zeitgemäß. Insbesondere zu Hause. Die eigene Küche ist für mich kein Ort, an dem man sich verkünsteln und mit anderen messen sollte. Zu viel auf einmal zu wollen führt in der Regel zu Stress. Trends nachzuhecheln ebenso. Dieses Buch soll eine Hilfestellung für alle sein, die sich am eigenen Herd gerne aufs Wesentliche konzentrieren: gutes und unkompliziertes Essen. Eine Alltagsküche, die einem nicht alltäglich vorkommt.“ – Tim Mälzer
Was gibt es denn?
Alltagsfreuden wie bestellt, statt Theorie oder rigide Zutaten-Beschränkung!
Die Rezept-Einteilung von 24/7 füttert mit bekannten Stichworten wie Frühstück (Quark-Brötchen, Buttermilch-Pancakes), belegte Brote (Eiersalat-Sandwich mit Gartenkresse), einer grünen Küste (z.B. Mozzarella mit Erdbeerdressing), Pasta (Tagliatelle mit Garnelen-Bolo), Suppen & Eintöpfe (Muschel-Curry), Kartoffeln (Pellkartoffeln mit Zaziki), Fisch (Kabeljau mit Fenchelsalat) Fleisch (Nackensteak mit Schmorzwiebeln u. Feigen), Süßes & Desserts (Schoko-Erdnuss-Cookie) kulinarische Erwartungen, die vielen sofort in den Sinn kommen, wenn sie gefragt werden, wie Alltags-Genuss für sie sein soll. Einzig die grüne Kiste, in der man neben mehrheitlich Vegetarischem einen thailändischer Hackfleisch-Salat oder einem Breznsalat „Bavaria“ mit Fleischwurst u. Käse drin, lässt mich ein wenig ratlos zurück.
Ich hab was Leckeres für Dich, koch einfach und schau wie es für Dich passt!
Wer auf die Abarbeitung einer Best-of-Alltag-Liste hofft und feste Zeit-Einteilungen wünscht, oder gar eine Anleitung sucht, wie er die alltägliche Küche generalstabsmäßig beherrschen kann, den muss ich leider enttäuschen, das gibt es bei Tim Mälzer nicht und eigentlich ist er tatsächlich überhaupt nicht der Typ, hinter dem man einen Hang zur Didaktik vermuten könnte! Er will „BÄM“ und klasse Rezepte liefern, die trotz umsichtig reduzierter Zutaten-Listen viel können, von festen Vorgaben hält er dabei aber absolut nichts. 5 ist nicht die Zahl von der sich ein Tim Mälzer regieren lässt, damit soll sich doch der Ex-Kollege in London herumschlagen. Wer seinen Mett-Igel zum Frühstück noch verschmäht, serviert ihn halt zum Bier mit Freunden und Misosuppe mit Seiden-Tofu macht genauso zu vielen anderen Gelegenheiten Spaß.
In diesem Kochbuch spielt die Musik ganz klar und ausschließlich bei den Rezepten, zu ihnen gibt es keine echte didaktische Überleitung, auf Einführungen, Tipps & Tricks wird zudem konsequent verzichtet. Ich habe erst mit jedem gekochten Rezept verstanden, dass Herr Mälzer es ernst gemeint hat, als er mir eine Alltagsküche versprach, die eben nicht alltäglich daher kommt. Kein Alltagskochbuch kommt ohne eine Bolognese aus, in diesem Kochbuch wird sie jedoch nicht wie überall mit Hackfleisch, sondern mit Garnelen zubereitet. Die Rezepte dieses Kochbuchs sind ein bunter Strauß an kreativen Angeboten für die Jeden-Tag-Küche, nie langweilig, zu komplex bei den Zutaten oder kompliziert und können mehrheitlich und verlässlich all das einlösen, was mir von Tim Mälzer zunächst blumig versprochen wurde. Diese zur Schau gestellte Konsequenz ist kein Zufall und zeigt die Klasse der Rezept-Entwicklung, die sich dahinter verbirgt.
Was wir daraus mitnehmen oder lernen wollen, müssen wir immer selbst destillieren, Küchen-Pädagogik ist offenbar nicht eines der Ziele dieses Alltagskochbuchs und eigentlich passt ein solcher Ansatz für mich tatsächlich überhaupt nicht zu dem was den Protagonisten ausmacht und wo er und sein Team sich als Unterstützung für einen gelungenen kulinarischen Alltag sehen.
Ohne Nostalgie und ein klein bisschen Klamauk geht es dann aber doch nicht…..
Auf Seite 9, das gebe ich gerne zu, habe ich doch kurz gezuckt, als der „Küchenbulle“ himself leicht derangiert im Gorilla-Kostüm auftritt und mich dann schnell entschlossen, diesen Auftritt unter dem speziellen Humor des Hamburgers zu verbuchen, für den es jedoch ebenfalls ein klitzeklein wenig Selbst-Ironie benötigt. Die kulinarischen Alltagsbeobachtungen von Thees Ulmann im zweiten Teil des Kochbuch bedienen heimelige Nostalgie, die dem Thema zuträglich ist und den Freund von seiner besten Seite porträtieren: Mutter Uhlmann hat es nämlich außerordentlich gefreut, dass Tim ihre Treue zur Quitte begeisterte und bot schnell neben einer Marmelade daraus mehr Nachschub in Form von Quittenmus und Quitten-Püree (Melasse) an. Ohne Frage, es lässt sich nett lesen und lockert die Aneinander-Reihung von tollen Rezepten irgendwie auf, kann jedoch nicht wirklich Einleitungstexte zu den Rezepten ersetzen, auf die ich persönlich inzwischen liebend gerne verzichte, wenn sie mir nicht mehr als Geschmacks-Plattitüden liefern wollen!
Probiert & Verputzt:
Pilze und Tomatenmark, kann das gut werden? Ein deutliches ja, denn Thymian und Knoblauch, Honig, Paprikapulver, Rotwein und Estragon verhelfen sogar Zucht-Champignons zum fulminanten Auftritt. Die Geheimwaffe dabei Steinpilzpulver, das sich nicht nur in der Pasta gut macht. Die Kombination ist stimmig und bringt eine Vollmundigkeit, die bei man bei schnöden Champignons in einem Pilzgericht nicht erwartet, eine gelungene Abwechslung und kein geschmacklicher Leisetretter!
Ein knackiger fein-würziger Salat mit viel Textur, durch Kichererbsen, Spinat, Tomaten, Zucchini, schnell gemacht und mit Kreuzkümmel, Sumach, Chiliflocken, Honig u. Zitrone herrlich orientalisch aromatisiert! Statt Fladenbrot, dass ich nicht zur Hand hatte, habe ich mich auf geröstete Baguette–Croutons als Crunch verlassen. Den muss es unbedingt wieder geben, da waren sich alle am Tisch einig!
Kartoffel-Buletten
Schlicht und einfach, letztendlich Bratlinge aus Kartoffel-Püree, Champignons, Frühlingszwiebeln und TK-Erbsen sorgen für mehr Geschmack, bevor die Buletten mit Panko-Bröseln eine tolle Knusper-Hülle erhalten und in der Pfanne ausgebraten werden. Unkomplizierte Familien/Alltags-Küche und mit dem begleitenden grünen Salat mit Zitronen-Schmand-Dressing klassisch kombiniert – wie bei Oma früher. Vielleicht nicht weltbewegend, aber wir mögen zur Abwechslung Retro-Küche ohne viel Schnickschnack sehr gerne.
Für Tim Mälzers optimiertes Gulasch-Rezept wird zunächst eine Gemüse-Pilz-Basis angeschwitzt, die mit Rotwein und Wasser abgelöscht und reduziert wird, dann wird das Fleisch in der würzigen Paprika-Tomaten-Sauce noch ca. 2 Stunden im Ofen butterweich geschmort. Die Sauce wird nur mit einem Teil des Gemüses als Saucen-Basis püriert, dadurch bleibt der Fleischgeschmack gut erhalten. Und fertig ist ein aromatisches Gulasch, dass sich toll mit Baguette auf tunken lässt und jede Mühe lohnt! Pilze in der Sauce machen hier wieder mal den Unterschied und sorgen für mehr Tiefe.
Linsensuppe mit südfranzösischer Note, schön einfach und trotzdem deftig, außerdem erfreulich vegetarisch! Der Balsam-Essig darin ist ein toller Geschmacksverstärker!
Fazit: Überzeugendes Rezept-Angebot für jeden Tag, sehr variabel und kreativ!
Ich könnte jetzt einen Haufen Zeug schreiben, der meine kritische Haltung gegenüber Platzhirschen und Profis belegen soll oder verhalten applaudieren, weil der Autor ein Profi ist und sich nicht nach Feierabend allein ans Kreieren seiner Rezepte gemacht hat, aber was hätten andere davon? Denn alles was ich probiert habe war richtig gut und hat sich in unserer Alltagsküche schnell als neue Ideen mit Pfiff durchgesetzt.
Wenn ich das Haar in der Suppe suchen soll, dann fehlt es mir an Erklärungen, Tipps & Tricks, die Alltagskocher an die Hand nehmen wollen. Für meinen Geschmack jedoch nicht wirklich etwas, das erwartbar ist bei Tim Mälzer und wo er sich überhaupt sieht. Wer nach neuen Ideen für die Jeden-Tag-Küche sucht, die richtig lecker und für den Tipps und Tricks verzichtbar sind, sollte sich dieses Kochbuch einfach mal anschauen. Für mich hat es sich nach anfänglicher Skepsis definitiv gelohnt, denn die Tricks findet man durchs Nachkochen schnell selber heraus!