Sophia Giesecke & Uri Triest: Shemesh-Kitchen
Viel Sonne, viel Gemüse, viel Geschmack
Fotos: Sophia Giesecke
Wer kreiert und kocht?
„Unsere Küche ist urban und trotzdem natürlich, sie ist international und trotzdem lokal.
Doch vor allem schmeckt sie (uns).“
– Sophia Giesecke & Uri Triest
»Erlaubt ist was schmeckt, ist Uris und Sophias Philosophie in der Küche. Das Entscheidende ist dabei für beide, die gute Qualität der verwendeten Produkte, damit kochen sie intuitiv und spontan. Die beiden Wahl-Berliner gründeten ihren Food-Kanal SHEMESH KITCHEN vor knapp zwei Jahren, schnell kochten und filmten sich in die Herzen ihrer Follower*innen auf TikTok und Instagram. – Was definitiv nicht nur an ihren leckeren internationalen Kreationen, sondern ebenfalls an ihrer mitreißenden Art liegt. Jetzt gibt diese vielseitigen Rezepte endlich kompakt zum Nachkochen als Buch. Der Name Shemesh Kitchen kam von Uri, der ursprünglich ein Restaurant mit dem Namen eröffnen wollte. „Shemesh“ heißt auf Hebräisch Sonne, und die ist ja bekanntlich für aromatisches Gemüse zuständig.
Was ist drin?
„Eine Tomate soll wie eine Tomate schmecken, allerdings soll sie wie die beste Tomate aller Zeiten schmecken. Wir wollen Fleisch nicht ersetzen, sondern stolze Gerichte kreieren, die in sich stimmig sind. Ohne Kompromisse!.“
– Sophia Giesecke & Uri Triest
Vegan oder endlich doch deutlich mehr?
Als ich dieses Kochbuch das erste Mal in der Verlagsankündigung sah, war ich zunächst wenig begeistert, ich hielt es fälschlicherweise nur für eines der vielen veganen Kochbücher, die zwar nette Rezepte haben können, die aber häufig keiner vermisst, der nicht ausschließlich vegan essen möchte. Ein solches Projekt in Berlin zu verorten, ist naheliegend, gilt die Hauptstadt doch als Hochburg der veganen Restaurant-Szene im Lande. Ehrlich gesagt, schwebt mir aber deutlich mehr vor, wenn ich an ein radikal modernes Kochbuch für Genießer denke! Auf Fleisch verzichte ich dabei gerne, mehr kann, muss aber nicht sein! Mit Genuss und kreativen Ideen hat man mich jedoch sofort! Als ich Shemesh-Kitchen tatsächlich in den Händen hielt, war der erste Eindruck vielversprechend und machte mich sehr neugierig auf alles, was dabei auf meinen Teller kommt.
Inspirationen aus aller Welt zum Teilen und ohne Fleisch
Sophia Giesecke & Uri Triest sind ambitionierte Autodidakten, in Israel und Brandenburg aufgewachsen, gehört für die beiden das bunte Nebeneinander kulinarischer Verlockungen zu ihrem Alltag. Neben der Hipster-Weinbar mit Farm-to-table-Konzept, findet sich in ihrem Neuköllner Kiez ganz selbstverständlich in unmittelbarer Nähe ein arabisches Frühstückslokal und beide leben wunderbar damit. Es sind also nicht die Kochstile und Konzepte, die im verdichteten urbanen Raum die Trenn-Linien setzen, sondern vielleicht eher etwas was wir Neu-Deutsch manchmal mit „Attitude“ übersetzen. Uri und Sophia sind neugierige Genießer, festlegen lassen sich die beiden dabei nicht gerne und wenn sie sich was vorschreiben lassen, dann allenfalls vom saisonalem Angebot und der Qualität der verwendeten Produkte. Die Rezepte der Berliner werden, wie es sich für eine pulsierende Metropole gehört, nach Tageszeiten von morgens (Bananenbrot mit salziger Kokossoße oder Perlzwiebel-Quiche) bis in die Nacht (Pita-Käsetoast mit Jalapeño und Tomatendip, Live-forever-Slaw) zusammengehalten und unterscheiden in den Clustern nicht zwischen Süßschnäbeln und Menschen mit Vorliebe für etwas Herzhaftes. Am Abend können wir z. B. Röstapfel mit Whisky-Parfait und Karamell oder Labneh-Tortellini mit Za’atar verputzen. Im Mittags-Angebot der Shemesh-Kitchen gibt es neben Salaten (Zucchinisalat mit Aprikosen u. Ziegenkäse, Kartoffelsalat á la Shemesh – lecker!), Suppen (Nekatrinen-„Gazpacho“ mit Sellerie-Granita), Sandwiches (Peperonata-Sandwich), kalte (Wassermelonen-Carpaccio mit Labneh u. Raki oder Blaubeeren mit Frozen-Joghurt u. weißer Schokolade) und warme Köstlichkeiten (Fish Cakes mit roter Bete und Joghurt, gebratener Romanasalat mit Blauschimmelkäse u. Tahini). Die Berliner sind keine eingefleischten Vegetarier, trotzdem haben sie sich entschieden, auf Fleisch zu verzichten. In ihrer Küche findet sich neben Eiern, Milchprodukten und ein wenig Fisch hauptsächlich Gemüse, aus dem sie mit ein paar interessanten Begleitern und klassischen Koch-Techniken, das Bestmögliche herauskitzeln. Flankiert wird das Angebot, das sich ausdrücklich zum Teilen anbietet, mit ein paar Basic-Rezepten (gebeiztes Gemüse im Ofen gebacken oder besonders ehrgeizig: kalt geräuchert, Labneh, Veganaise), die allein oder als Zutat für die Komponenten-Rezepte kreiert wurden.
Das Salz in der Suppe oder Kochen wie die Profis
Für Uri und Sophia gibt es beim Kochen fast nichts Wichtigeres als Salz. Mit Salz begann ihre Freundschaft und Salz schweißt die beiden noch heute zusammen – oder zumindest ihre Rezepte. Sie meinen, die meisten verhunzten Gerichte können mit etwas mehr Salz einigermaßen gerettet werden und Essen im Restaurant schmeckt meistens allein deshalb besser, weil es besser gesalzen ist. Aber »besser« ist nicht unbedingt mehr. Um sicherzugehen, dass ein Gericht gut gesalzen ist, haben sie einen einfachen Trick: Es wird direkt bei jedem Schritt gesalzen. Das hat zwei Gründe: Erstens ist es viel schwieriger, bei einem ganzen Topf Suppe richtig einzuschätzen, wie viel Salz nötig ist, als bei jeder einzelnen Zutat und so wird unmittelbar jede Zutat geschmacklich ein bisschen gehoben. Dies ist tatsächlich ein Kniff, den viele Küchen-Profis nutzen und bringt für nahezu alle Speisen wirklich was, fordert für mich jedoch genauso Umsicht ein!
Rezepte mit Anspruch!
„Unsere Rezepte sind manchmal ganz leicht und manchmal eher herausfordernd – so wie das Leben“. – Sophia Giesecke & Uri Triest
Probiert & Verputzt:
Für ein Kochbuch, dass ich zunächst nicht „auf dem Zettel hatte“ fiel das Probekochen umfangreicher als sonst aus, auch weil alles was wir probiert haben, zu außergewöhnlich schmackhaften Ergebnissen auf unseren Teller führte, habe ich neben den üblichen 3 Optionen einfach noch ein paar Küchen-Sessions à la Shemesh Kitchen dran gehängt und es absolut nicht bereut!
Sabich ist ein irakisch-israelisches Gericht, das üblicherweise in Pitas serviert wird und aus Aubergine, Ei, manchmal Kartoffeln, Tahini und Petersilie besteht. Überraschenderweise haben die zwei Shemesh-Macher Pitabrot gegen knusprige Croissants getauscht und noch weichen Ziegenkäse dazugegeben – Dies ist Uris Hommage an einen der besten Sabich-Läden überhaupt: „Sabich Tchernikhovski“ (eine Institution in Tel Aviv). Die Berliner Sabich-Kreation hebt sich kreativ und sehr köstlich vom Original ab und ist genau richtig für einen besonderen Sonntags-Brunch!
Die Shakshuka-Version aus dem Hause Shemesh Kitchen ist nicht ganz authentisch: Uri Triest hat seiner Interpretation mit Zitronengras ein interessantes frisches Aroma verliehen. Er beweist dabei Händchen, denn die ungewöhnliche Zutat drängt sich nicht vorlaut in den Vordergrund, sondern reiht sich in einen harmonischen Geschmacks-Kanon ein. Als Topping ist alles erlaubt: Feta, Merguez (unsere erste Wahl!), Kichererbsen oder Auberginen. Tomaten sind hier die Hauptzutaten und müssen von bester Qualität und wirklich reif sein. Wir haben sie saisonbedingt durch Dosenware erster Qualität ersetzt. Ziemlich, ziemlich gut, meinte mein Mitesser, auch wegen dem Pernod, der hier als weitere Geheimzutat wirkt!
Gefüllte Süßkartoffel mit Kichererbsen Ragout
Dieses Rezept ist angelehnt an »Siniyah«, ein Gericht aus dem Mittleren Osten, in dem Lamm mit Tahini überbacken wird. Sophia & Uri haben wieder eine eigene – diesmal sogar vegane Variante kreiert. Die Tahini bekommt durch das Backen eine Gratin-artige Konsistenz. Mit dem pikanten Kichererbsen-Ragout und dem süßen Fleisch der Kartoffel ergibt das ein perfekt abgerundetes Mittagessen. Klasse, die Zeit für die Zubereitung der einzelnen Komponenten hat sich gelohnt!
Zucchini-Puffer mit Kräuterquark
Ein Alltagsklassiker, im Sommer hat immer einer in der Familie oder Bekanntenkreis eine Zucchini-Schwemme im Garten oder der Wochenmarkt lockt mit super Qualität zu günstigem Preis. Ich weiß nicht, wie viele Variationen ich schon probiert habe, gefühlt unendlich viele…. Uris Rezept ist perfekt und der Kräuterquark eine Delikatesse!
Zimt-Babka mit Zwetschgen-Kompott und Mandeln
Superlative sind bei mir eher selten, hier lehne ich mich jedoch gerne weit aus dem Fenster: dies ist mit Abstand die beste Babka-Version, die es je in meiner Küche gegeben hat! Knusprig Zimt parfümiertes Gebäck wird mit einem aromatischem Zwetschgen-Kompott, karamellisierten Mandeln und saurer Sahne getoppt. – Göttlich, da könnte sogar der Perfektionist aus London neidisch werden….
Linsensuppe mit Bohnen
Eine mit rauchiger Paprika-Butter, Kreuzkümmel, Koriander und Fenchelsamen aromatisierte Linsen-Suppe, die Einlage aus grünen Bohnen und Kurkuma sorgen für Farbe und Textatur – wirklich fein!
Flagelolet-Bohnen-Msabbaha
Msabbaha ist die kleine Schwester des Hummus und wird nur kurz gestampft und mit Petersilienöl, Burrata und Tahin serviert. Ziemlich aufwendig, weil jede Portion aus allen Komponenten einzeln zubereitet wird. Ich brauche sicherlich noch einen weiteren Anlauf, um es perfekt hinzukriegen.
Kartoffelsalat á la Shemesh
Das deutsche Nationalgericht wird mit zwei Sorten grüner Bohnen (Typisch Uri, der erst zufrieden ist, wenn es perfekt geworden ist!) , Radieschen und einer Handvoll Dill getunt. Optisch sieht der Salat noch wie bei Oma aus, geschmacklich hat er mit seinem Ziegenkäse-Dressing Omas Version längst hinter sich gelassen. Definitiv ein Keeper-Rezept, beim nächsten Mal reicht mir aber eine Sorte grüne Bohnen!
Umami Bluccoli
Deutscher Kohl (Blumenkohl + Brokkoli) bettet sich auf einer samtigen Soja würzigen Tahina und lässt sich vom Crisp des chinesischen Chili-Öls umgarnen, bevor alles optisch interessant, mit schwarzem Sesam getoppt wird – spannend und super lecker!
Fazit: Lange gesucht und jetzt endlich gefunden!
Dieses Kochbuch ist ein echtes „Brett“: fast jedes Rezept, das ich probiert habe, war ein Knaller! Die Zimt-Babka mit Zwetschgen-Kompott und karamellisierten Mandeln ist ein Gedicht, da sitzt wirklich jeder Akzent! An diesem Rezept hätte der detailverliebte Yotam Ottolenghi, da bin ich sicher, absolut seine helle Freude! Wie der Engländer arbeitet die Shemesh-Kitchen mit einem Komponenten-System, das zum kreativen Einsatz ermuntert. Im Umkehrschluss bedeutet das aber, ich habe bei einzelnen Rezepten mindestens solange für die Zubereitung gebraucht wie bei den Rezepten von Mr. Ottolenghi. Für mich war jedoch jede Minute sehr gut investiert, weil dabei herausragende Ergebnisse möglich werden und nichts austauschbar ist. Nach einem solchen Kochbuch das Genuss und Perfektion mit einem modernen Ansatz verbindet habe ich auf dem deutschen Markt immer gesucht. Voila – hier ist es liebe Genießer, wir müssen uns nicht mehr ausschließlich in London bedienen!